Die Fernmeldeunion ITU will bei der Regulierung des Internets mitreden und sich dabei für die Zivilgesellschaft öffnen. Ein Lernprozess, für beide Seiten. Von P. Beuth

Wenn die Internationale Fernmeldeunion ITU die Zivilgesellschaft dazu einlädt, an ihren Plänen und Entscheidungen mitzuarbeiten, dann klingt das ein bisschen wie in Douglas Adams’ Roman Per Anhalter durch die Galaxis.

Adams beschreibt, wie die Erde von Außerirdischen, den äußerst unsympathischen Vogonen, zerstört wird, um Platz für eine Hyperraum-Umgehungsstraße zu machen. Als die Erdenbewohner protestieren, lautet die Antwort der Vogonen: Alle Planungsentwürfe und Zerstörungsanweisungen haben 50 ihrer Erdenjahre in ihrem zuständigen Planungsamt auf Alpha Centauri ausgelegen. Wenn Sie sich nicht um ihre ureigensten Angelegenheiten kümmern, ist das wirklich ihr Problem.”

Die ITU benimmt sich mitunter wie die Vogonen. Sie will zwar beim strittigen Thema Internet Governance auch auf Nicht-Mitglieder zugehen und schreibt sich dies als Zeichen von Offenheit und Transparenz auf die Fahnen. Forscher, Technik-Experten und Aktivisten sollen mitreden und mitentscheiden können. Das Ganze sei jedoch ziemlich praxisfern umgesetzt, klagen Bürgerrechtler.

Offenheit, Transparenz und gleichberechtigte Mitarbeit verschiedener Interessenvertreter kann sich eine Organisation nicht einfach verordnen, sie muss all das erst lernen. Und die ITU lernt noch, wie in dieser Woche in Genf zu beobachten war. Bislang steht sie sich mit ihrer historisch gewachsenen Struktur selbst im Weg.

Die ITU ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, die sich früher um Telegrafie gekümmert hat und heute vorwiegend für die Regulierung von Funk und Telefonie zuständig ist. Stimmberechtigt sind einzig die 192 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen. Zwar gibt es in der ITU noch 700 weitere Mitglieder aus Wirtschaft und Wissenschaft, aber die sind nicht stimmberechtigt. Kann so eine Organisation überhaupt sinnvoll mit der Zivilgesellschaft, mit Bürgern und Aktivisten zusammenarbeiten?

ITU-Generalsekretär Hamadoun Touré glaubt, das sei möglich. Touré will die ITU zu einem wichtigen Player in der Entwicklung und Verwaltung des Internets machen, denn die Bedeutung von Funk und Telefonie nimmt ab. Bislang sind dafür vor allem Organisationen wie die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (Icann), das World Wide Web Consortium (W3C), die Internet Society (Isoc) und die Internet Engineering Task Force (IETF) zuständig. Sie verwalten die Adressvergabe und erarbeiten neue technische und regulatorische Standards, kurz: sie sorgen dafür, dass die vielen Tausend Netzwerke dieser Welt ein globales ergeben.

Sie alle funktionieren nach dem sogenannten Multistakeholder-Ansatz. Das bedeutet, Regierungen, Unternehmen, Wissenschaft und Technik-Community sind zumindest theoretisch gleichberechtigte Partner – auch wenn Kritiker insbesondere der Icann das infrage stellen.

Kann auch eine zwischenstaatliche Organisation wie die ITU so funktionieren? Ist sie wirklich bereit für diese Art der Arbeitsteilung? Hamadoun Touré ist davon überzeugt, er wiederholt es in seinen Reden wieder und wieder. Er weiß: Nur wenn seine ITU nach ähnlichen Prinzipien arbeitet wie die anderen Organisationen für Internet Governance, wird sie von ihnen akzeptiert. Schafft die ITU es nicht, Gehaltvolles zum Kommunikationsmedium Nummer eins beizutragen, wird sie schon bald in der Bedeutungslosigkeit versinken. Allerdings muss Touré einige der Mitgliedsstaaten von dieser Idee erst noch überzeugen, denn nicht alle sind gleichermaßen begeistert von der Vorstellung, ihre Organisation nach außen zu öffnen.

Vogonen-Moment in Dubai

Bürgerrechtsaktivisten aus den USA, Brasilien und Indien bezweifeln, dass die ITU das Multistakeholder-Modell schon verinnerlicht hat. Deborah Brown zum Beispiel arbeitet für die Bürgerrechtsorganisation Access, die weltweit für Internetfreiheit und die Rechte von Internetnutzern lobbyiert. Ihren Vogonen-Moment erlebte die 29-Jährige aus New York bei der World Conference on International Telecommunications – kurz WCIT in Dubai im vergangenen Dezember: Da gab es überhaupt keine Beteiligung der Zivilgesellschaft”, sagt sie, bis Aktivisten einen Protestbrief an die ITU geschrieben haben. Die hat daraufhin wenigstens eine Internetplattform eingerichtet, aber wirklich mitmachen konnten wir nicht.”

Bei der WCIT wurde ein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag zwischen den Mitgliedsstaaten der ITU verhandelt. Dass sich die Regierungen da nicht großartig hereinreden lassen wollten, ist eigentlich kein Wunder.

Vier von 166 Teilnehmern vertraten die Zivilgesellschaft

In dieser Woche aber trafen sich die ITU-Mitglieder erneut, dieses Mal in Genf, zum World Telecommunication/​ICT Policy Forum, kurz WTPF. Hier sollte die Zivilgesellschaft mitreden können, und zwar schon bei den seit Mitte 2012 laufenden Vorbereitungen für das Treffen, bei denen in sogenannten Informal Expert Groups (IEGs) die Beschlussvorlagen erarbeitet wurden. Deborah Brown sagt, das sei faktisch kaum möglich gewesen: Wir hatten uns sozusagen in letzter Minute dazu entschlossen, in den IEGs mitzuarbeiten. In letzter Minute deshalb, weil die Modalitäten dafür lange unklar waren. Mitte Januar haben wir und ein paar andere Organisationen die Einladung der ITU erhalten, da mitzumachen. Das war kurz vor dem letzten Treffen dieser Gruppen. Zuvor gab es schon zwei, und weder wir noch die anderen Bürgerrechtsgruppen wussten, dass wir hätten mitmachen dürfen. Es wurde einfach nicht großartig öffentlich gemacht.”

Bei diesem letzten Treffen dann hatte Access auch nur wenig zu melden. Nur einer von uns war bei der letzten Sitzung vor Ort”, sagt Brown. Ich und ein paar andere konnten nur aus der Ferne teilnehmen, am Bildschirm. Wir wussten deshalb auch nicht so recht, inwieweit wir gegen irgendetwas Einspruch erheben könnten. Zumal ein paar entscheidende Phasen nicht übertragen wurden, weil sie gleichzeitig stattfanden, oder irgendwo in einem Nebenraum. Und einige Entscheidungen wurden auf dem Flur getroffen, informell, was wir natürlich nicht mitbekommen haben.” Insgesamt seien vier Vertreter der Zivilgesellschaft dabei gewesen, sagt Brown – bei insgesamt 166 angemeldeten Teilnehmern.

Aktivisten aus anderen Ländern haben ähnliche Erfahrungen gemacht: Joana Varon Ferraz aus Brasilien sagt, sie habe ebenfalls viel zu spät erfahren, dass ihre Organisation, das Centro de Tecnologia e Sociedade, bei den IEGs hätte mitmachen können. Und Anja Kovacs, eine gebürtige Belgierin, die heute in Indien lebt und dort das Internet Democracy Project betreibt, findet, die ITU müsse den Aktivisten die Anreise zahlen: Wer wirklich nach dem Multistakeholder-Modell arbeiten will, muss sicherstellen, dass alle Interessenvertreter teilhaben können.”

Ein Einwand, den Michael Rotert nicht gelten lassen will. Der Vorstandsvorsitzende von eco, dem Verband der deutschen Internetwirtschaft, war selbst Mitglied der IEGs und sagt: Die ITU kann ja nicht jeden auf ihre Kosten zu den Treffen einfliegen.” Das Problem fehlender finanzieller Mittel müssten Aktivisten schon selbst lösen.

Und auch Wolfgang Kleinwächter, Professor an der Universität Aarhus, Icann-Mitglied und Teilnehmer unzähliger Internet-Governance-Konferenzen, attestiert den Aktivisten noch einen gewissen Lernbedarf. Sie hätten, als sie bei der letzten Sitzung der IEGs waren, völlig gleichberechtigt mitreden können”, sagt er. Mit anderen Worten: Sie waren zu schüchtern.

Sorge um Zugang zu den kommenden Treffen

So war es dann auch beim WTPF. Einige wichtige Dinge wurden abends in informellen Treffen verhandelt, aber weder Joana Varon Ferraz noch Anja Kovacs haben versucht, sich einzumischen – weil sie sich nicht eingeladen fühlten. Nun sorgen sie sich darum, ob sie Zugang zu den kommenden ITU-Veranstaltungen haben werden, in denen es um die Internet Governance geht.

Der Lernprozess ist also auf beiden Seiten nötig: Die Bürgerrechtler müssen sich weiter mit den Abläufen, Besonderheiten sowie den vielen Verträgen, Abkommen und Plänen der nach wie vor von Regierungen dominierten ITU vertraut machen, um sich Gehör verschaffen zu können. Und die ITU ist längst noch nicht so offen und transparent, wie ihr Generalsekretär immer behauptet.

Deborah Brown ist überzeugt, dass der ITU nichts anderes übrig bleibt, als sich noch mehr zu öffnen. Der heftige Protest von Bürgern gegen die US-Gesetzentwürfe Sopa und Pipa, aber auch gegen Acta habe gezeigt, dass man größere Vorhaben zur Internetregulierung nicht mehr ohne die Konsultation der Internetnutzer durchziehen kann.”

Originally published in Die Zeit.